Schalensteine

Rätselhaftes Reiben

Sakrale Felsen oder alpine Astronomie?

Warum bohrt jemand winzige Grübchen, zentimetertiefe Schalen oder ganze Wannen ins Gestein? Die Gründe für dieses Tun sind so vielfältig wie die Namen für die Ergebnisse des rätselhaften Reibens: Schalen- oder Näpfchensteine, Opfer- oder Blutsteine,  Druiden-, Heiden-, Engel-, Feen-, Jungfern- und Elfenstein, Hexen- oder Teufelssteine, Pierre aux écuelles, Pierre à cupules oder Pierre aux pieds (wie oben auf dem Foto aus der Haute Maurienne in den französischen Westalpen), Pedres amb cassoletes, Pietre a coppelle, Kamenica, Cup marks, Skåltegn, Skålgropar, Älfkvarnar oder Gjettegryter … 

Schalensteine findet man in aller Welt – und einige besonders interessante Exemplare auch in den Alpen. Selbst Menschen, die direkt daran vorbeiwandern, fallen sie oft nicht auf: Halbkugelförmige und in seltenen Fällen auch ovale, zwischen einem und 50 Zentimeter große Vertiefungen in Steinen und Felsplatten, einzeln angebracht oder in größerer Anzahl, wirr durcheinander oder in geometrischen Formationen angeordnet … Schalensteine erscheinen in unglaublicher Vielfalt. Da und dort zeigt sich bloß ein einziges Näpfchen auf weiter Flur, während etwa bei Feldthurns in Südtirol auf einem einzigen Felsrücken, dem sogenannten Wasserstein, an die 700 Vertiefungen ausgeschabt wurden. 

Die ersten Forscher, die sich ab dem 19. Jahrhundert für diese sagenumwobenen Stätten interessierten, hielten sie zunächst für Relikte blutrünstiger Rituale mit Menschenopfern. Bald erkannte man, dass viele der runden Vertiefungen infolge chemischer Verwitterung, durch Auskolkungen des Wassers oder mechanische Gefügelockerungen entstanden sein könnten. In manchen Fällen lässt sich gar nicht so einfach feststellen, ob eine Schale von Menschen mit einem harten, nicht leicht splitternden Stein oder einem Metallwerkzeug ausgebohrt, -geklopft oder -geschabt worden ist, zudem können natürliche Schalen nachbearbeitet oder vertieft worden sein. 

Wozu dienten Schalensteine?

Viel wichtiger als die Frage nach ihrer Entstehungsart ist die nach ihrem Sinn. Nach und nach wurde klar, dass sie zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten divergente Bedeutungen hatten. Manche der Schalen sind im Zusammenhang mit Kulten zu sehen. Es waren beispielsweise Lichtsteine für die Toten, in denen Dochte aus Tierdärmen in eingefülltem Fett oder Öl entzündet wurden, aber auch Grabmonumente und Behälter für Speiseopfer, Nahrungsmittel für Verstorbene und für Flüssigkeiten (was in den Weihwasserschalen unserer Kirchen noch weiterlebt). Aus dem chinesischen Altertum sind Vertiefungen überliefert, in denen die Köpfe gefangener Feinde zur Schau gestellt wurden.

Da und dort entstanden Wetzrillen und Schalen durch das Ausreiben von heilbringendem Steinpulver, von dem schon aus römischer Zeit berichtet wurde. Spuren davon sieht man an Kirchenportalen, an „Wundersteinen“ wie auf dem niederösterreichischen Sonntagberg oder an Gräbern wie jenem von Bruder Klaus im schweizerischen Sachseln. 

Schalensteine dienten auch profanen Zwecken, etwa als Mörser, in denen Getreide oder Ocker zermahlen wurde, als Wasserbehälter und als Schalen zum Suppenkochen mittels heißer Steine. Sie entstanden als Löcher beim Feuermachen oder beim Zerkleinern von Erz bei Bergwerken, zur Harz- und Pechölgewinnung oder auch als Lagerpfannen für Drehpfosten. Löcher zur Aufnahme von Dengelsteinen beim Grasmähen stehen da und dort bis heute in Gebrauch. Schalen konnten Grenzzeichen sein, Wegweiser oder Markierungen von Versammlungs- und Gerichtsstätten.

Der häufig postulierten Bedeutung von Schalensteinen für astronomische Messungen erteilen viele Wissenschafter:innen heute eine Absage. So stellte etwa der Schweizer Mathematiker und Schalensteinexperte Urs Schwegler fest: „Astronomische Messung mit Hilfe von Schalen und Stäben als Visiereinrichtung ist und war wegen der erforderlichen Genauigkeit der Messung nicht durchführbar.“

… und Menschenopfer?

Die konnten tatsächlich nachgewiesen werden, allerdings nur an ganz wenigen Stellen – etwa an einer Schalenstein-Kultstätte aus dem vierten vorchristlichen Jahrtausend, die 25 Kilometer nördlich der Alpen in der Nähe von Linz an der Donau liegt. Meist wurden den Göttern jedoch Tiere, Waffen, Werkzeug, Schmuck oder Münzen geopfert. 

Findet man solche Relikte in der Nähe von Schalensteinen, dann können diese eventuell auf das Alter der Vertiefungen hindeuten. Bloß Anhaltspunkte für eine Zeitstellung gibt das Gestein, in dem sie hergestellt wurden – Schalen in Granit können beispielsweise sehr alt sein, in Sandstein oder wasserlöslichem Kalk verwittern sie dagegen rasch. Gewissheit gibt es selbst dann nicht, wenn sie neben datierbaren Felsbildern auftreten, denn niemand weiß, ob sie zur gleichen Zeit geschaffen wurden.

Nur selten lassen sich Fakten wie in der piemontesischen Stadt Susa feststellen. Dort bauten die Römer im dritten nachchristlichen Jahrhundert ein Aquädukt auf einen mit Stufen und Schalen versehenen Kultstein, der also älter sein muss. 

So bleiben viele Fragen offen, die der Faszination, die von Schalensteinen ausgeht, jedoch keinen Abbruch tun – ganz im Gegenteil!