Sengsengebirge und Reichraminger Hintergebirge
Vom Nutz- zum Naturwald
Wertvolle Wälder bedecken den 20.856 Hektar großen Nationalparks Kalkalpen im Südosten Oberösterreichs. Die Wolken verhüllen einen weiteren Schatz: das größte unberührte Bachsystem der Ostalpen.
Zwischen dem 1963 Meter hohen Nock im 20 Kilometer langen Sengsengebirge und dem mittleren Ennstal sprudeln mehr als 800 Quellen, die größere und kleinere, aber allesamt nahezu im Naturzustand erhaltene Bäche speisen. Mit dem nassen Element stehen schon etliche Naturwunderam Rand des 1997 gegründeten Schutzgebiets in Verbindung, etwa die kilometerlange Konglomeratschlucht der Steyr, die sich zwischen Frauenstein und Grünburg noch weit gehend naturbelassen zeigt, oder periodisch aktive Karstquellen wie die „Teufelskirche“, die in der Nähe von St. Pankraz unter einer frei stehenden Felsbrücke entspringt.
Das gewaltigste dieser „Wasserwunder“ ist jedoch die Schluchtenwelt des Reichraminger Hintergebirges. Durch sie transportierte man seit dem Mittelalter geschlägertes Holz, und zwar mit Hilfe von sogenannten Klausen – hölzernen Stauwerken, hinter denen man Wasser sammelte. Wurde die Klause „geschlagen“, dann ergoss sich die Flut auf die davor abgelegten Stämme und riss sie mit sich – durch Klammen und felsige Engstellen, weiter zur nächsten Klause und schließlich in die Haupttäler, wo sie vor allem für die Schmieden und Hammerwerke der „Eisenwurzen“ rund um den Steirischen Erzberg Verwendung fanden. Die Stämme von Buche, Esche, Tanne oder Bergahorn waren zu schwer für die Holztrift, daher fällte man meist nur Fichten. Aus diesem Grund zeigen viele Bereiche der zwischen 800 und 1700 Meter hohen Mittelgebirgslandschaft heute noch einen hohen Laubholzanteil. Noch heute gilt das Reichraminger Hintergebirge als das größte geschlossene und unbesiedelte Waldgebiet der Nördlichen Kalkalpen. In seinen verborgenen Seitengräben haben sich sogar noch einige Urwaldreste erhalten; dort wurzeln die ältesten Buchen der Alpen.
Seit dem Ende der Forstwirtschaft durch die Etablierung des international anerkannten Schutzgebiets kehrt die Waldwildnis wieder zurück. In den letzten Jahren wurden 110 Kilometer Forststraßen aufgelassen. Obwohl sich die Natur dort wieder ungezähmt entwickelt, wird es jedoch noch länger dauern, bis alle Menschenspuren beseitigt sind. Dafür haben orkanartige Stürme den Verwilderungsprozess beschleunigt. Tausende Fichten wurden gestürzt oder so entkräftet, dass sich der darauf spezialisierte Borkenkäfer mit dem poetischen Namen „Buchdrucker“ rasant ausbreiten konnte. Aber auch durch Lawinen hat sich die Totholzmenge in den letzten fünfzehn Jahren auf 34 Festmeter pro Hektar erhöht – eine wahre „Arche Noah“ für stark bedrohte Arten unserer heimischen Wälder.
Mittlerweile hat man allein im Hintergebirge 1000 Blütenpflanzen-, 1563 Schmetterlings-, 17 Fledermaus- und 21 Urwaldkäferarten, aber auch eine überdurchschnittlich hohe Dichte an Weißrücken-, Dreizehen-, Grau- und Schwarzspechten, Trauer-, Halsband- und Zwergschnäppern sowie eine enorme Anzahl an Pilz-, Moos- und Flechtenarten dokumentiert. Bei Wanderungen erlebt man auch sehr selten gewordene Waldtypen wie den an Bergahorn reichen Edellaubwald; an manchen Stellen dominieren wiederum Grauerlen-Auwälder, Fichten-Moorwälder, Schneeheide-Kiefernwälder oder Lärchen-Buchenwälder.
Der Kampf um Wald und Wasser
1983, nur wenige Tage nach dem Aus für diesen Wahnsinn, kamen Pläne für ein viel weitreichenderes und noch dazu völlig unwirtschaftliches Kraftwerksprojekt an die Öffentlichkeit. Die Politik und alle Gemeinden im Ennstal befürworteten den Bau. Dagegen zur Wehr gesetzt hat sich nur eine ganz kleine Gruppe engagierter Menschen – mit Diskussionsveranstaltungen, Petitionen, wissenschaftlichen Gutachten, der Markierung von Wanderwegen zu vielen Naturwundern und der Erstellung von Infomaterial.