Von jenen Flüssen, die vor 30 oder 20 Millionen Jahren quer durch den Alpenraum strömten, kennen wir nur den Schutt, den sie davor abgelagert haben. Ihre Verläufe lassen sich nur in wenigen Fällen rekonstruieren.
Der längste Fluss, der durch die Alpen fließt
Der heutige, etwa 350 Kilometer lange Lauf des Inns lässt sich immerhin durch sechs Millionen Jahre zurückverfolgen. Er fließt durch das schweizerische Engadin und das österreichische Bundesland Tirol in den deutschen Freistaat Bayern. Damit ist er der längste Fluss innerhalb der Alpen. In Passau, wo er in die Donau mündet, werden wohl nicht alle wissen, wo er unter seinem rätoromanischen Namen En – das Wort soll aus dem Keltischen stammen und so viel wie „Wasser“ bedeuten – dem Gebirge entspringt: Oberhalb des Malojapasses, in einem 400 Meter langem Gebirgssee, der im Bergeller Dialekt Lägh dal Lunghin heißt.
Dort nimmt man einen Schluck des noch kristallklaren Innwassers, bewundert die südliche Hochgebirgskulisse (Piz Bernina, Piz Roseg) und wandert vielleicht noch hinauf zum Pass Lunghin, wo jeder Regentropfen vor einer weitreichenden Entscheidung steht: Will er mit dem Inn und der Donau ins Schwarze Meer? Via Eva da Lunghin, Gelgia und Albula zum Hinterrhein und damit in die Nordsee? Oder doch lieber mit einem Wildbach nach Süden zur Maira, deren Wasser nach einer Ruhepause im Lago di Como und dem Weiterweg mit der Adda in der Adria landet?
Mit einem Wort: Der Inn entspringt an einem der beiden wichtigsten Wasserscheidepunkte Europas (zum zweiten müsste man nach Russland reisen). So nobel wie in seiner „Kinderstube“ zeigt sich der Inn in seinem weiteren Verlauf nicht mehr. Nachdem er sich über 700 Höhenmeter und ein paar Wasserfälle in die Tiefe gestürzt hat, füllt er die berühmten Oberengadiner Seen. Dort mag man es kaum glauben, dass er in der Folge mit einer mittleren Wasserfracht von 738 Kubikmetern pro Sekunde fast so mächtig wird wie die Elbe.